Arthur Feiner, ein Porträt, nachgezeichnet aus seinen Briefen

Schuld und Verantwortung

Kategorie: Arthur Feiner

„Wir beurteilen den Einzelnen nach seinem Denken und Handeln. Das ist sein Kriterium, sein Schild und Gewissen. Er muß damit leben und dahingehen. Aber Schuld ist nicht vererblich. Der neuen Generation steht es offen, die Schuld der Väter zu verschweigen oder sich zu ihr zu bekennen und verursachte Leiden zu lindern.“ In einem Brief vom April 1992 schreibt er: „Ich habe im Laufe der Jahre mit vielen gesprochen, aber alles, was man hörte, waren die Entbehrungen, die sie erdulden mußten, Hunger und die Folgen der Bombardierungen. Niemals wurden die Namen Hitler, Goebbels, Himmler und der anderen Häuptlinge erwähnt, deren Ideen und Handlungen alle diese Leiden zur Folge hatten (…). Das Vergessenwollen ist eine nagende, geistige Krankheit, die nicht heilbar ist. Nur bekennen und ändern, kann Gesundung bringen.“

Arthur Feiner 1991 400Zu der Frage, wie auch in Wittlich die Erinnerung an die nicht mehr existierende jüdische Gemeinde der Stadt wach gehalten werden kann, finden sich im Brief vom 16. Februar 1990 sehr einfache, aber nicht weniger praktische Gedanken:

„Die Namen ‚Synagoge’ und ‚Jüdische Gemeinde’ sind schon ein dauerhaftes Mahnmal, sich an das Geschehen in vergangenen Jahren zu erinnern. Wenn das Kind fragt: Was bedeuten ‚Synagoge’ und ‚Jüdische Gemeinde’, wird die Art der Antwort es zu recht oder zu unrecht für sein ganzes Leben beeinflussen.“

In seinem letzten Brief vom 29. Dezember 2000 würdigt Feiner nochmals die in Wittlich geleistete Arbeit, indem er sich für die zahlreichen Dokumente bedankt und schreibt:

„… aus denen ich ersehe, dass in Wittlich von einer Verdrängung an die Leiden, die die schreckliche Ideologie des Nazismus über die Welt gebracht hatte und deren Folgen noch immer fühlbar sind, keine Rede sein kann.“

So beruhigend diese Worte eines alten und reflektierten Mannes für uns in Wittlich auch sein können, so fehlt es in Feiners Briefen nicht an Gedanken, die wie eine permanente Mahnung für jeden »Erinnerungsarbeiter« gelesen werden können. Shakespeare zitierend („Who can feel the others pain?“) schreibt er:

„Vielleicht ist es nicht möglich, den körperlichen Schmerz des anderen in seiner Intensität und Gegenwärtigkeit mitzufühlen. Aber seelischen Schmerz, Entmenschlichung, Wert- und Rechtlosigkeit kann man verstehen, wenn man sich in die Situation der Opfer versetzt.“

Aber Arthur Feiner wäre nicht der reflektierende Briefpartner, wenn er nicht auch hier tiefer nachhaken würde. Auf die Schilderung eines Besuchs der Gedenkstätte Auschwitz/Polen gibt er zu bedenken:

„Vielleicht sollte man das KZ nicht der Öffentlichkeit als Schaustück zugänglich machen. Man sollte nur von außen hineinschauen dürfen, in diesen Sammelplatz von Schrecken und Grausamkeit, dieser „Ausgeburt der Hölle“. Denn jeder Stein, jeder Quadratmeter des Geländes ist verflucht worden und wird es immer bleiben (…).

Man sollte Entsetzen empfinden vor dem Abgrund, in den die Menschheit fallen kann. Der Brief schließt mit den eindrucksvollen Mahnworten:

"Denn Enteignung, Rechtlosigkeit, Erniedrigung, die ständige Gefahr der Folter und des Todes sind letzten Endes in ihrer Tiefe nur von denen zu erfassen, die deren Opfer waren.“

Kann klarer vor einer „Leichtigkeit des Gedenkens“ (U. Schrader) für heute gewarnt werden? Darüber gilt es nachzudenken.

Arthur Feiner hat nur sehr zurückhaltend auf Fragen zu seinem eigenen Schicksal geschrieben.

„Ich habe zwei Nazirazzien über mich ergehen lassen. Die erste 1933 und dann im November 1938. Jede Schublade wurde durchwühlt, jeder Schrank, jeder Brief wurde gelesen, jedes Buch verdächtig betrachtet.“

Lapidar fügt er hinzu: „Andere haben mehr gelitten.“

In Schanghai hat er sich nach seiner Flucht aus Deutschland als Foto-Retuscheur, Behindertenpfleger, Reinigungskraft in einer Mikwe (rituelles Reinigungsbad), Tankwagenfahrer und Passbildfotograf durchgeschlagen. 1948 erhielt er sein Visum für die USA.

„Die Vereinigten Staaten waren gut zu mir. Ich kam mittellos auf einem Truppentransportschiff mit Hilfe einer jüdischen Organisation in San Francisco an.“

Nach kurzer Tätigkeit als Lagerarbeiter in Denver bewarb er sich erfolgreich bei einer Arzneigroßhandlung, besuchte die IBM Schule und arbeitete 22 Jahre als Buchhalter. In einem Postskriptum seines letzten Briefes offenbart Arthur Feiner ein über Jahre gehütetes „Geheimnis“:

„Bisher habe ich nicht meine Gefährtin Margot erwähnt, mit der ich seit 1944 mit Zuneigung und Freundschaft verbunden bin. Ohne ihre Kameradschaft, Güte, Toleranz, Intelligenz und Weltgewandtheit wäre ein Überleben nicht möglich gewesen. Ihr verdanke ich, dass ich jetzt diesen Brief schreibe.“

Arthur Feiner ist am 20. April 2009 in Englewood, Colorado , gestorben.
Wenn ich heute Arthur Feiners Briefe lese, meine ich fast, er wäre ein guter Deutschlehrer geworden. Lehrer wollte er werden: 1930 legte er im Regierungsbezirk Köln die Prüfung zum Volksschullehrer ab; spätestens im April 1933 durfte er diesen Beruf in Deutschland nicht mehr ausüben. Immer wieder zitiert er aus der deutschen Literatur, die ihm auch in der Fremde offenbar bedeutsam und vertraut geblieben ist. Dass sich in den Briefen des betagten Mannes fast keine Fehler finden, sei für „Nachgeborene“ nur am Rande erwähnt.
Für diese Verbundenheit mit der (Eifel)-Kultur spricht auch die abschließend zitierte Briefpassage:

Thekla Feiner Passbild 300„In meinen jungen Jahren hatte ich gern Clara Viebigs ‚Die Kinder der Eifel’ gelesen. Der Dialekt gab mir eine ungewöhnliche Freude. Das war ein Teil von mir und ich war ein Teil von ihm. Es war ein heimatliches Zusammengehörigkeitsgefühl (…). Als in den 80er Jahren der Mann meiner Schwester Thekla in Sydney starb, war meine Schwester sehr bedrückt und ich schickte ihr ‚Die Kinder der Eifel’ um in die heimatlose Heimat Australiens ihr eine kleine Ablenkung mit Erinnerung aus ihrer Jugend zu schicken (…) Sie [Anm. die Schwester Thekla] starb im Juni 2000. Ich schrieb der Dame, die ihre Angelegenheiten betreute, mir das Buch zu schicken, aber sie konnte es nicht mehr finden. Ein anderer Teil der Vergangenheit war verloren gegangen. Und nun schickten Sie mir das Buch. Sie können sich meine Freude und Dankbarkeit vorstellen.“

Dankbarkeit empfinde auch ich als der Empfänger dieser Briefe – aber auch das Bedauern, diesen außergewöhnlichen Menschen nie persönlich kennen gelernt zu haben.


 Franz-Josef Schmit

Erstveröffentlichung: Jahrbuch des Kreises Bernkastel-Wittlich 2010, S. 301 – 304.