Emil Frank, ein Wittlicher Bürger
Flucht aus Deutschland
Die Lebensgeschichte von Emil Frank, dem letzten Vorsteher der jüdischen Gemeinde Wittlichs, ist vor allem durch die Recherche der WDR-Journalistin Ursula Junk (zusammen mit Gert Monheim) gut erforscht.1 In dem Film „Es war ein Stück von seinem Herzen – Die Geschichte eines Schrankes“, der vom Wittlicher „Emil – Frank – Institut“ zwanzig Jahre nach seiner Erstausstrahlung in der ARD am 15.10.2012 noch einmal in der ehemaligen Synagoge gezeigt wurde, gibt es eine Szene mit Emil Franks Neffen Harry Frank, der erstmals davon berichtet, dass Emil Frank und seine verwitwete Schwester Clementine über Spanien nach Kuba gelangt sind. Wirklich überraschend war die vage Information, der Onkel und die Tante seien auf Kuba für längere Zeit interniert gewesen, bevor sie in die USA einreisen durften.
Clementine Frank-Weil war in Emil Franks Geschäft u.a. für das Personal zuständig und hatte Prokura. Die frühere Angestellte Jenny Dublon schreibt: Ich glaube nicht, dass in den 11 Jahren, in denen ich bei der Fa. Frank arbeitete, Frau Weil auch nur einen Tag ausgesetzt hat, nicht einmal für Ferien. Eine andere Angestellte, Selma Eulau, äußerte sich 1959 wie folgt: Sie war die Geschäftsführerin. Sie widmete ihre ganze Arbeitskraft dem Geschäft, kaufte selbstständig ein und kümmerte sich um alles, was im Geschäft vorging, und war den ganzen Tag über im Geschäft beschäftigt.2
Emil Frank war, wie aus etlichen seiner Briefe hervorgeht, ein stark mit seiner Geburts- und Heimatstadt Wittlich verbundener Mann, der wie der Großteil der deutschen Juden davon überzeugt war, dass der Hitlerspuk bald wieder zu Ende sei. Die ehemalige SPD-, später KPD-Reichstagsabgeordnete Maria Reese aus Lüxem bei Wittlich will – folgt man ihren Nachkriegsaufzeichnungen – Frank schon früh gewarnt und zum Verlassen Deutschlands aufgefordert haben. Zunächst hält sie aber fest: Die deutschen Juden tragen doch selbst Mitschuld am Siege Hitlers. Was taten sie, ihn vorher zu bekämpfen? Diese Einschätzung entsprach ganz dem Denken nicht nur der deutschen Kommunisten, zu denen auch Maria Reese einmal zählte: Nur wer (wie die Kommunisten) den Faschismus aktiv bekämpft hat, darf auch Anspruch erheben, als „Opfer des Faschismus“ zu gelten.3 Weiter schreibt Reese:
Ich bat über Frank einmal die Wittlicher Juden, uns rotes Fahnentuch zur Verfügung zu stellen, als wir in Braunschweig eine Kampagne gegen den Antisemitismus des Nationalsozialismus führten. Die jüdische Gemeinde lehnte das ab, obwohl sie mich kannte und auch wußte, dass ich einmal im Reichstag eine energische Rede gegen den Antisemitismus der Nazis gehalten hatte. Ich habe Frank zeitig gesagt, welches Schicksal ihn und die Juden erwarten würde, aber er wollte mir nicht glauben, ihm tue in Wittlich keiner was. Ich sagte ihm damals, wenn die Nazis siegen würden, sei er ein Jude und sonst nichts, und ließ ihn durch Mama noch einige Tage vor dem Reichstagsbrand auffordern, Deutschland zu verlassen. Er soll ja nach Amerika zu seiner Tochter entkommen sein. Dann wird er noch oft daran denken.4
Flucht aus Deutschland im Herbst 1941
Emil Franks Textilgeschäft war im Frühjahr 1936 vermietet worden. Am 5. März 1936 kündigt Matthias Wendel im Wittlicher Tageblatt die Neueröffnung des ehemaligen Frank-Geschäfts an.
Emil und Clementine Frank-Weil verlassen Wittlich am 5. Juni 1936 und wohnen zunächst in Koblenz in der Kurfürstenstraße 31d, später im Markenbildchenweg 30. Vermutlich erhoffen sich die beiden in der größeren Stadt mehr Schutz vor den NS-Verfolgungen und auch bessere Möglichkeiten, ihre Emigration aus Deutschland vorzubereiten. Die endgültige „Arisierung“ des Frank-Geschäfts erfolgte Ende November 1939.
Bei neuen Recherchen des Enkels von Emil Frank, Dr. Michael Cahn5, ist eine Passagierliste aufgetaucht, nach der die Geschwister Frank im Sommer 1936 ein erstes Mal in den USA gewesen wären. Demnach hätten sie im Mai 1936 ein Schiff in Richtung USA bestiegen, das dort am 27.Juni 1936 eingetroffen ist. Diese Reise zu der Tochter Else und ihrem Mann hat in der Tat stattgefunden. In einer Eidesstattlichen Erklärung der Tochter Else vom 2. Oktober 1961, hinterlegt in der Rückerstattungsakte Emil Frank, heißt es:
Nach seinem Umzug im Jahre 1936 besuchte er mich hier in demselben Jahre und erzählte mir bei dieser Gelegenheit, dass er eine schöne, wenn auch kleinere Wohnung in Koblenz, Markenbildchenweg 30 habe.6
Dass Emil Frank nochmals nach Deutschland zurückgekehrt ist, erscheint erklärungsbedürftig. Möglicherweise hat er die Lage für Juden in Nazi-Deutschland nicht so dramatisch eingeschätzt und noch – wie andere deutsche Juden auch – an einen baldigen Zusammenbruch des NS-Regimes geglaubt. Naheliegender sind praktische Erwägungen. Sein Geschäftshaus mit 13-Zimmerwohnung in Wittlich war seit Frühjahr 1936 an den Pg. Konrad Wendel lediglich vermietet – die endgültige Übertragung („Arisierung“) fand Ende November 1939 statt. Einen Teil seiner wertvollen Möbel, seines Hausrates und seiner Bildersammlung (darunter mehre Gemälde von Claus Fisch) hatte Frank vor seinem Umzug nach Koblenz verkauft („verschleudert“). Vor der endgültigen Flucht aus Koblenz lieferte er Wertgegenstände im Pfandleihhaus ab, um überhaupt über flüssiges Geld zu verfügen. Hierfür wurde später auch keine Entschädigung gezahlt, weil in diesem Vorgang ein Handeln ohne Zwang gesehen wurde. Ob darunter auch Schmuckstücke seiner Großmutter Rosalie Müller aus Eisenschmitt sich befanden, ist unklar. Bei den Rückerstattungsprozessen in den frühen 1960er Jahren ergaben sich erhebliche Probleme, weil Franks Tochter Else sich „in Beweisnot“ befand, d.h. sie konnte einzelne Stücke nicht genau benennen. Aber genau das forderten die Entschädigungsbehörde. Belastend für die Erbin kam hinzu, was in der Rückerstattungsakte wie folgt festgehalten ist:
Bereits im Jahre 1937 hatte der Erblasser Emil Frank Einrichtungsgegenstände nach Amerika verschickt. Dies tat er, nachdem der Schreinermeister Teusch in Wittlich diese Möbel aufgearbeitet hat.
Der „Arisierer“ Konrad Wendel hatte am 22. April 1958 bei einer Befragung vor dem Wittlicher Amtsgericht den Wert der früheren Wohnungseinrichtung Franks als verhältnismäßig gering (nicht luxuriös, aber behaglich) eingeschätzt und weiterhin erklärt:
Er wisse, dass der Schreinermeister Josef Teusch auch Wertsachen, d.h. wertvolle Schmuckstücke usw. in Möbelstücke habe einarbeiten müssen, damit auf diese Weise sie jedem Zugriff der Behörden entzogen blieben. Das habe ihm der Bruder von Teusch, Peter Teusch, der bei den Aufarbeitungsarbeiten der Möbelstücke geholfen habe, ihm selbst erzählt.
Der Hinweis der Klägerin Else Cahn, geb. Frank, bei den nach USA verschickten Möbeln habe es sich um ihre eigenen Möbel aus ihrer vorehelichen Zeit in Wittlich gehandelt, beeindruckte die deutsche Behörde nicht. Auch wenn es in den Dokumenten nicht offen ausgesprochen wird, blieb ein Betrugsverdacht im Raum stehen, den Else Cahn nicht ausräumen konnte. Die Entschädigung für die Schmuck- und Möbelstücke wurde deutlich herabgesetzt. In der Sache ist dagegen nichts einzuwenden. Zu fragen ist allerdings, was den früheren „Arisierer“ Konrad Wendel zu der Minderbewertung der Frank-Wohnung und vor allem zu den Hinweisen zu den Wertgegenständen veranlasst hat. Aber Wendel war kein Einzelfall – in „Wiedergutmachungsakten“ finden sich häufig solche Hinweise von früheren Geschäftskonkurrenten, die für den „Nachkriegsbewerter“ zwar keine Vorteile brachten, aber vermutlich dessen Bedürfnis noch „Korrektheit“ befriedigen konnten. „Im Zweifel für den Verfolgten“ – das war jedenfalls nicht die Maxime!
Nach der Abmeldung in Koblenz gelingt noch rechtzeitig die Flucht aus Nazi-Deutschland. Kurze Zeit später, nämlich am 23. Oktober 1941, hatte die NS-Regierung die Auswanderung aus Deutschland verboten und die erste Deportation von 337 Juden aus Koblenz nach Izbica/Polen erfolgte am 22. März 1942.
Anhand des Reisepasses von Clementine Frank-Weil lässt sich die Flucht der Geschwister Frank weitgehend sicher rekonstruieren.
Der Polizeipräsident von Koblenz hatte am 24. Juli 1941 die Erlaubnis zur einmaligen Ausreise aus dem deutschen Reichsgebiet über Spanien und Portugal nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika erteilt. Von Koblenz fahren die Franks mit dem Zug nach Berlin. Die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, eine im Sommer 1939 gegründete und dem Reichssicherheitshauptamt unterstehende Zwangsorganisation der deutschen Juden, sammelt in Berlin jüdische Ausreiseberechtigte und organisiert eine Bahnfahrt nach Spanien. Jedem Emigranten wird eindringlich klargemacht, dass er – entsprechend der Devisenbestimmungen – nur 10 RM mitnehmen darf, um das gesamte Projekt nicht zu gefährden.
Der Zug überquert am 30. August 1941 am Bahnhof Hendaye bei Irun in den Pyrenäen die Grenze nach Spanien. Nächste Station ist Cádiz im Süden Spaniens. Eine zeitlich befristete Aufenthaltsberechtigung hatten Franks am 1. Juli 1941 auf dem spanischen Konsulat in Düsseldorf erworben.
Das erste Exilland Spanien, damals unter der Herrschaft des mit Deutschland verbündeten faschistischen Diktators Franco, konnte deutschen Emigranten keinen sicheren Aufenthalt bieten und so wird es auch im Interesse der Franks gelegen haben, Spanien möglichst bald wieder zu verlassen. Das gelingt auch am 10. September 1941. Über Barcelona gelangen sie nach Portugal.
Finanzielle Hilfe von Alfred Cohn
Emil und Clementine Frank-Weil müssen über ein gültiges Einreisevisum (US-Quotennummer und Affidavit) für die USA verfügt haben. Aus einem Dokument des „Jewish Transmigration Bureau“ (New York) geht hervor, dass Alfred Cohn 2.800 Dollar bei einer Koblenzer Bank für die Schiffspassage von Onkel und Tante eingezahlt hatte. Alfred Cohn war der unverheiratete Sohn der Schwester Friederike (Frieda) Frank (geb. 7.4.1874 in Wittlich) und ihrem Mann Philipp Cohn. Das Ehepaar hatte noch eine Tochter, Lilli Cohn, die in Bonn Jura studiert hatte und seit 1949 in den USA zugelassen war, Rechtsbeihilfe für Einwanderer zu leisten. Für dieses Engagement ist Lilli Cohn, verheiratet mit dem Hautarzt Dr. Eugen Kretzmer, vielfach ausgezeichnet worden – so auch von der Bundesrepublik durch das Verdienstkreuz Erster Klasse im Jahr 1966. Lillis Bruder Alfred Cohn war ein vermögender Mann, der viel Geld mit der Herstellung von Kunststofftischdecken und durch Großhandel von Sanitärwaren verdient hatte.7
Warum sich die direkte Weiterfahrt von Portugal in die USA nicht realisieren lässt, kann aus den Dokumenten nicht erschlossen werden. Auf dem Schwarzmarkt gelingt es, ein Transitvisum nach Kuba zu erwerben, für das jeder 600 US-Dollar zahlen muss.8 In Havanna treffen sie am 2. März 1942 ein. Jetzt beginnt vermutlich die schlimmste Zeit für die beiden Flüchtlinge aus Deutschland. Nach einer Ausweiskarte werden die Franks am 1. Mai 1942 in das berüchtigte Lager „Tiscornia“ überstellt. Nach einer Bescheinigung der kubanischen Immigrationsbehörde, angesiedelt beim Finanzministerium, musste Clementine Frank-Weil „107 Tagegelder für den Aufenthalt im Lager Tiscornia“ zahlen, insgesamt 107,00 Pesos.
Hintergründe zum Transit-Land Kuba
Im Gegensatz zu anderen Ländern jenseits des Atlantiks spielte Kuba für die deutsche Emigration in den ersten Jahren der NS-Diktatur keine wichtige Rolle. Das sollte sich jedoch ab 1938 ändern, und zwar auf Grund der Eigentümlichkeiten des US-Quotensystems, das jährliche Höchstgrenzen vorsah, die auch nicht gelockert wurden, als immer mehr Juden aus Deutschland nach dem Novemberpogrom flüchteten. Kuba selbst propagierte sich als „Nothafen“ für Flüchtlinge aus Europa und viele setzten darauf, in Kuba lediglich eine kurze Wartezeit bis zur Weiterfahrt verbringen zu müssen. Darüber hinaus konnten bereits in die USA eingewanderte Verwandte relativ leicht die auf Kuba wartenden Verwandten besuchen.
Als fast einziger Staat weltweit zeigte sich Kuba zudem – zumindest in der Theorie – uneingeschränkt flüchtlingsfreundlich. Die Praxis der Regierung unter dem im Jahre 1933 über einen Putsch an die Macht gekommenen Unteroffizier Fulgenico Batista (1901-1973), dem späteren Generalstabschef und Staatspräsidenten (bis 1958), sah allerdings völlig anders aus.
Das Batista-Regime war bestenfalls eine Scheindemokratie und ein Vasallenstaat der USA. Willkür der Behörden, Rechtsunsicherheit, Cliquenwirtschaft und Korruption als Basis des Systems9 in allen Lebensbereichen bestimmten den Alltag. Vor allem den Korruptionssumpf bekamen auch Emigranten aus Europa und sie unterstützende jüdische Hilfsorganisationen zu spüren. Der österreichische Sozialdemokrat Julius Deutsch (1884-1968) hat dieses Korruptionssystem in seinen Lebenserinnerungen „Ein weiter Weg“ 1960 umfassend beschrieben: Die Ursache des Übelstandes liegt in der kläglichen Besoldung der Beamten. Der Staat bezahlt sie nicht nur schlecht, sondern bleibt ihnen sogar nicht selten das Gehalt schuldig. Was Wunder, daß sich die Beamten in anderer Weise schadlos zu halten suchen. Daß der Fremde dabei mit höheren Tarifen bedacht wird als der Einheimische, ist landesüblicher Brauch.10
Aber auch die kubanische Regierung und Politikercliquen verdienten am europäischen Flüchtlingselend kräftig mit. Die Tragödie des Flüchtlingsdampfers „St. Louis“, der am 15. Mai 1939 von Hamburg Richtung Havanna mit 937 deutsch- jüdischen Flüchtlingen an Bord ausgelaufen war, fand große Beachtung in der internationalen Presse. Lediglich 29 Passagieren war in Havanna erlaubt worden, kubanischen Boden zu betreten, obwohl die Papiere auch bei allen anderen in Ordnung waren, für die jeder Flüchtling viel Geld bezahlt hatte. Am Ende hatten der Chef der kubanischen Einwanderungsbehörde und seine Hintermänner rd. 136.000 Dollar kassiert, ohne dass irgendeine Gegenleistung erfolgt war. Aufgebracht hatte das Geld der „Joint“ in den USA. Aber auch eine Landung in Florida scheitert und das Schiff musste nach Europa zurückkehren. Die Fahrt endete im Hafen von Antwerpen. Länder wie Belgien, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande gewährten Asyl. Und doch fielen 254 Flüchtlinge der „St. Louis“ den Nazimördern später in die Hände und wurde ermordet.11
Emigranten als „Feindliche Ausländer“
Ab Mitte 1940 nimmt die Ausbeutung der Flüchtlinge aus Europa noch brutalere Formen an: Alle Ankommenden – so auch Emil und Clementine Frank-Weil – werden nach kurzer Zeit in ein Internierungslager nördlich von Havanna gebracht. Dieses Lager „Tiscornia“ war offiziell als „Einwanderungslager“ deklariert, um die Neuankömmlinge auf ihre politische Gesinnung zu befragen. Die Angst vor der so genannten „Fünften Kolonne“, also überwiegend europäischen Kommunisten, diente letztlich als regierungsamtliche Begründung, um Flüchtlinge in Kuba über Monate finanziell auszuplündern. Die Internierten mussten selbst dann noch im „Tiscornia“-Lager ausharren, als alle Formalitäten und Befragungen erledigt waren und somit jeglicher Spionageverdacht ausgeräumt war. Zum Gebaren der kubanischen Behörden schreibt Hans-Albert Walter: „In Kuba wurde die Ausbeutung der am Leben Bedrohten von Staats wegen und offiziell in der Manier eines florierenden Großhandelsunternehmens betrieben, und es nimmt nicht Wunder, daß es in der Leitung der kubanischen Einwanderungsbehörde in knapp drei Jahren dreimal zu einem Wechsel kam. Man kann daraus nur schließen, daß der Posten eine der begehrtesten Futterkrippen im Staatsapparat gewesen und dementsprechend von den verschiedenen Cliquen hart umkämpft worden ist.“12 Immerhin mussten die Flüchtlinge, rechnet man Visum-, Depot- und Sicherungsgebühren zusammen, für sechs Monate in Kuba Anfang der 40er Jahre knapp 3.000 Dollar bereithalten. Dauerte der Transitaufenthalt aus irgendwelchen Gründen länger, kamen weitere Zahlungen hinzu. Dabei waren die Lebensbedingungen im Lager „Tiscornia“ erbärmlich. Julius Deutsch schreibt über seine Ankunft und Zeit im Lager: 13
Schätzungsweise 15.000 Flüchtlinge aus Europa mussten diese Prozeduren und Schikanen über sich ergehen lassen, bevor ihnen gestattet wurde, Kuba Richtung USA und andere Länder in Lateinamerika zu verlassen. Hans-Albert Walter fasst am Ende seiner Untersuchung zusammen: „Für den Flüchtling war der ‚Nothafen’ bis zum letzten Augenblick eine Räuberhöhle, und dabei hätte es nur wenig gebraucht, um das zu ändern. Einige ‚Anregungen’ des amerikanischen Botschafters in Havanna hätten dazu wahrscheinlich ausgereicht. Indessen achtete Washington in bestimmten Dingen die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht auch bei seinen Vasallenstaaten.“14
Über ihre Zeit der Internierung im Lager „Tiscornia“ selbst haben die Geschwister Frank nie gesprochen. Auch in den Briefen an Matthias Joseph Mehs, Freund aus früheren Tagen und erster Nachkriegsbürgermeister in Wittlich, findet Kuba keine Erwähnung. Für den damals schon 64-jährigen Emil und seine drei Jahre ältere Schwester dürften aber allein schon die Lebensbedingungen im Land selbst auf Grund des tropischen Klimas und der schlechten Versorgungslage eine schwere Belastung gewesen sein. Emil Frank war – so der Neffe und eine frühere Nachbarin im „Schrank-Film“ – bei seiner Ankunft in Utica ein gebrochener Mann. Dass Emil Frank und seine Schwester Clementine überhaupt in Kuba überleben konnten, verdankten sie vor allem der Unterstützung durch Alfred Cohn. Inwieweit auch Else Frank und ihr Mann Paul Cahn, von Beruf Hautarzt, die beiden Franks finanziell unterstützen konnten, muss offen bleiben. Diese waren – wie zu vermuten ist – selbst noch wirtschaftlich wenig abgesichert, da Dr. Paul Cahn erst im Jahre 1936 in Utica eine Praxis eröffnet hatte und mit Eintritt der USA in den Krieg zum Militär einberufen worden war. In die USA eingewandert waren Else Cahn (geb. Frank) und ihr Mann Paul 1934. Geheiratet hatten sie am 7.09.1932 und zeitweise in Göppingen gelebt. So gehörten Cahns zu den wirtschaftlich noch kaum etablierten USA-Einwanderern, die nur unter großen persönlichen Opfern ihren Verwandten unter die Arme greifen konnten. Unverzichtbar erwies sich für die auf Kuba gestrandeten meist mittellosen europäischen Flüchtlinge vor allem die finanzielle Unterstützung durch das „Joint Distribution Committee“ in New York, das in begrenztem Maße auch rechtliche Hilfe leisten konnte.
Ausgebürgert, ausgeraubt, entwurzelt, gerettet.
Nach ihrer Entlassung aus dem Lager „Tiscornia“ am 19.08.1942 gelingt es den Geschwistern Frank nicht direkt, eine Schiffspassage in die USA zu erhalten. Erst am 18.09.1942 treffen sie in Miami/Florida ein, um von dort mit der Bahn nach Utica zu Else Cahn und ihrem Mann zu gelangen. Im Jahr 1947 erhalten die Franks die amerikanische Staatsbürgerschaft. In Deutschland waren sie im Zuge der „Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25.11.1941 ausgebürgert worden und damit war das gesamte Vermögen dem Reich verfallen.
Bleibt noch nachzutragen, dass Emil Frank ab dem 15. Dezember 1938 in vier Raten 16.000 RM „Judenvermögensabgabe“ gezahlt hatte. Hinzu kamen noch weitere Zahlungen in Höhe von 4.563 RM als „Auswanderungsabgabe“ an die „Jüdische Kultusvereinigung, Synagogengemeinde Köln e.V.“, einer Abteilung der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ sowie 12.007 RM als „Reichsfluchtsteuer“.15
Clementine selbst konnte von der in den 50er Jahren an die Erbengemeinschaft Frieda Cohen (geb. Frank), Else Cahn (geb. Frank), Helmut Frank und Suse Feingold (geb. Frank) gezahlten „Wiedergutmachung“ aus Deutschland nicht mehr profitieren. Sie war am 18.06.1950 gestorben. Bei den Berechnungen für die „Wiedergutmachung“ hatten die deutschen Behörden ausdrücklich anerkannt, dass in Kuba erhebliche Beträge zu zahlen waren, für die keine Nachweise erbracht werden konnten. Allerdings war man nicht bereit, den Angaben der Antragsteller hinsichtlich der Visumkosten zu folgen. In dem Bescheid ist zu lesen:
Es besteht nach den Erfahrungssätzen der Entschädigungsbehörde kein Zweifel, daß durch die Beschaffung des Visums für Cuba enorm hohe Kosten entstanden sind. Der in Ansatz gebrachte Betrag von Dollar 600.- erscheint jedoch übersetzt und kann in dieser Höhe nicht anerkannt werden. Es wird daher auf Grund der bei gleichgelagerten Fällen getroffenen Feststellungen ein Betrag von Dollar 500,- unterstellt.
Solche Vergleichsschlüsse waren bei den Entschädigungsbehörden die Regel, wenn keine Nachweise erbracht werden konnten. Für die anderen Reisekosten werden ebenfalls Schätzwerte zu Grunde gelegt.
Zu ihrem Vater Emil Frank hatte die Tochter Else im September 1957 gegenüber den deutschen Behörden im Rahmen der „Wiedergutmachung“ erklärt:
Als mein seliger Vater durch nationalsozialistische Maßnahmen gezwungen war, Wittlich zu verlassen, sandten wir ihm ein Visum für nach hier und er kam 1942 mittellos in Ú.S.A. an. Da es uns damals selbst nicht gut ging, war mein seliger Vater gezwungen, sein Leben selbst zu verdienen, und er ging hausieren. Seine Verdienste waren sehr minimal, und als er krank wurde, hat er ganz aufgehört.16
Trotzdem schickte Emil Frank Freunden wie der Familie von Matthias Joseph Mehs „Care“-Pakete.
Der einst wohlhabende Geschäftsmann und in seiner Heimatstadt Wittlich nicht nur bei Juden als langjähriger Vorsitzende der Gemeinde hoch geachtete Bürger Emil Frank ist am 21.06.1954 in Utica im Alter von 75 Jahren gestorben. Richtig eingelebt im „gelobten Land“ hat er sich nie. Seine ungebrochene Heimatliebe zu Wittlich dürfte ihm dabei auch im Wege gestanden haben. Die Geschwister Frank sind nebeneinander auf dem jüdischen Friedhof von Utica begraben.
Der Verfasser dankt Ursula Krechel (Berlin) für den Hinweis zu der Untersuchung von Hans-Albert Walter, Deutsche Exilliteratur 1933-1950. In ihrem 2012 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman über einen deutsch-jüdischen Juristen mit dem fiktiven Namen Richard Kornitzer schildert die Autorin im Kapitel „Die kubanische Haut“ (S. 274-362) ausführlich die Lebensbedingungen europäischen Emigranten. Dabei hat Ursula Krechel sich auch an den Memoiren von Julius Deutsch orientiert.
In einem Brief vom 22.11.12 schreibt Ursula Krechel: Bevor ich im vorigen Jahr nach Kuba reiste, hatte ich mich auch über das Lager Tiscornia kundig gemacht, und ich wollte unbedingt sehen, was davon übrig geblieben ist. Aber man hat mich streng verwarnt, es sei heute militärisches Sperrgebiet, und damit ist wohl nicht zu spaßen… Daß es wenig Berichte über Tiscornia gibt, liegt auch daran, daß die meisten Emigranten via Frankreich, Portugal kamen und schon Lagererfahrung hatten, entweder in deutschen KZs oder in Gurs, Les Miles. Das hört sich vielleicht etwas zynisch an, ich meine nur: sie waren abgehärtet.
Franz-Josef Schmit
2
Beide Zitate nach Entschädigungsakte Frank-Weil im LHA Ko Nr. 249264.
3
Zur Lebensgeschichte von Maria Reese, vgl. SPÄTES ERINNERN, S. 250-252.
4
Zit. nach Nachlass Maria Reese, Bundesarchiv Koblenz N/ 1676/3 (Tagebuchaufzeichnungen 1944-1945).
5
Er hatte zusammen mit seiner Frau Hilda im Sommer 2012 erstmals Wittlich besucht und im Rahmen der Filmvorführung über seinen Großvater Emil Frank berichtet.
7
Mitteilungen von Dr. Michael Cahn an den Verfasser, belegt durch verschiedene Zeitungsauschnitte.
8
In den Entschädigungsakten von Clementine Frank-Weil ist von einem illegalem Visum die Rede. Bezahlt werden musste grundsätzlich in US-Dollar.
9
Hans-Albert Walter, Deutsche Exilliteratur 1933-1950, Stuttgart 1984, Bd. 2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis. Zu Kuba: S. 322-337, Zitat S. 323. So weit nicht anders angegeben sind die Angaben zu Kuba dieser Untersuchung entnommen.
10
Zit. nach ebd., S. 243.
11
Mehrfach verfilmt, zuletzt als Doku-Drama der ARD 2019 unter dem Titel Die Ungewollten – Die Irrfahrt der „St. Louis“.
12
Zit. nach ebd., S. 334f.
13
Zit. nach ebd., S. 250.
14
Ebd., S. 337.
15
Angaben nach, wie Anm. 6
16
Ein Konto von Else Cahn bei der Kreissparkasse Wittlich mit dem Betrag von 283,68 RM war von der Gestapo am 1. Juni 1942 sichergestellt worden und im Juli 1944 dem Finanzamt Berlin-Moabit überwiesen worden.